Unter der alten Linde
Heute bin ich bei der alten Linde vorbeigelaufen, sie hat gerade erst ihr schönstes Laub aufgesetzt und ich suhlte mich schon in der Vorfreude, wie mich ein wundervoller Duft aufhält. Nicht irgendein Duft – nein, der zarte, warme Hauch einer blühenden Linde.

Ich war schon fast daran vorbeigelaufen, doch mein Hund zog sanft an der Leine, wollte den Stamm beschnuppern. Ich blieb stehen. Der Baum stand da wie immer – gross, würdig, ein bisschen knorrig. Und doch: etwas war anders. Die Linde hatte sich herausgeputzt. Ihr hellgrünes Laub tanzte im Wind, und oben in der Krone summte es leise. Wenn man ganz still ist, kann man hören, wie der Sommer beginnt.
Bald schon kann ich die Hand ausstrecken, vorsichtig, wie früher in der Drogerie, wenn ich Lindenblüten in die Waage legte. Diese Blüten – sie sind ein Schatz. Nicht laut, nicht spektakulär, aber sie können etwas, was viele vergessen haben: beruhigen. Besänftigen. Einwickeln wie ein warmes Tuch um die Seele.
Früher kamen sie oft: Mütter mit kränkelnden Kindern, ältere Damen mit unruhigem Schlaf, junge Leute mit zu vielen Gedanken. „Haben Sie Lindenblüten?“ – „Ja, natürlich. Vom letzten Sommer, aus guter Ernte.“
Ich habe nie zu viel gesagt. Der Tee sollte wirken, nicht das Gerede.
Bald kann ich wieder ein paar Hände voll mitnehmen. Nicht zu viel – der Baum soll für alle blühen. Ich werde die Blüten trocknen, an einem luftigen Ort. Und wenn dann irgendwann ein Regentag kommt oder ein Gedanke zu schwer wird, koche ich mir eine Tasse.
Rezept für einen wundervollen Tee
Lindenblütentee
• 1–2 Teelöffel getrocknete Lindenblüten (Tilia cordata oder Tilia platyphyllos)
• mit 250 ml heissem Wasser übergiessen
• 5–10 Minuten zugedeckt ziehen lassen
• abseihen, nach Belieben mit Honig süssen
Hilft bei Erkältung, Hustenreiz, innerer Unruhe oder einfach zum Innehalten.